Dan, du hast einen langen Flug hinter dir, hattest gestern Abend einen Vortrag und fliegst jetzt gleich weiter zur nächsten Abendveranstaltung mit Geschäftsleuten. Wie kommt es, dass du trotzdem nicht gestresst wirkst?

 

Als ich anfing, Aikido zu lernen, forderte mich der Übungsleiter immer wieder auf, mich zu »entspannen«. Das fand ich total frustrierend, weil ich nämlich durchaus das Gefühl hatte, entspannt zu sein. Irgendwann bemerkte ich aber, dass ich tatsächlich verkrampft war – aber jetzt hatte ich die Möglichkeit, dass ich mich wirklich entspannte. Was ich damit sagen will: Sobald man ein Problem einmal erkannt hat, ist man schon auf dem Wege der Lösung. Heute bin ich eigentlich immer ziemlich entspannt.

 

Und wie machst du das?

 

Irgendwann lernen wir alle, dass Veränderungen unvermeidlich sind und dass es weise wäre, flexibel zu sein und sie zu akzeptieren, denn nichts bleibt für immer gleich. Bis dahin wehren wir uns dagegen, und dieser Widerstand erzeugt Stress, Leid und Schmerz. Mein Lehrer Socrates pflegte immer zu sagen: „Arbeit haben wir alle – aber Stress machen wir uns selber.“

 

Du betonst immer wieder, dass du das Leben als einen fortwährenden Prozess der Weiterentwicklung siehst …

 

Ja, genau wie Socrates betrachte auch ich diesen Planeten als göttliche Schule und den Alltag als unser Klassenzimmer. Die Herausforderungen, denen wir begegnen – in unseren persönlichen und geschäftlichen Beziehungen, in Bezug auf Gesundheit, Finanzen und Beruf -, sowie die Konsequenzen, die unser Handeln hat, bringen uns garantiert alles bei, was wir brauchen, um uns weiterentwickeln zu können.

 

Jeder kann sich also da am besten entwickeln, wohin das Leben ihn stellt?

 

Der Weg der persönlichen Entwicklung ist nicht glamourös, und am Ende winkt kein glänzendes Abzeichen. Ein voll entfalteter Mensch kann sich ganz ruhig und normal verhalten, ergreift aber auch manchmal voller Begeisterung und Leidenschaft das Wort. Er übernimmt immer genau die Rolle, die gerade angemessen ist.

 

Dann gibt es keine Patentrezepte, und jeder muss radikal seinen eigenen Weg finden?

 

Wenn wir unser Leben mit einer Bergtour vergleichen, kann man sagen, dass viele verschiedene Routen zum Gipfel führen; jeder wählt seine eigene und bestimmt auch sein persönliches Tempo. Und diejenigen von uns, die sich schon früher auf den Weg gemacht haben, manchmal auch gestolpert sind und sich wieder aufrappelten, können dabei nützliche Hinweise geben – vielleicht sogar eine detaillierte Karte des Gebirges.

 

Gibt es also Mittel und Wege oder auch Lehren, die für uns alle gelten?

 

Auch wenn wir über die Verästelungen des Bewusstseins, über esoterische Denk- oder Arbeitsweisen Bescheid wissen, die eigentliche Frage ist doch: Sind wir in der Lage, Freundlichkeit und Mitgefühl an den Tag zu legen, auch wenn wir uns gar nicht danach fühlen? Handeln wir konstruktiv, positiv und funktional? Herrscht Balance in unserem Leben?

 

Du betonst immer wieder, dass ein Mensch sich nie nur auf geistigem Wege entwickeln kann, sondern dass es auch wichtig ist, ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper zu bekommen.

 

Unverkrampfte, fließende Bewegungen entsprechen dem geistigen Gesetz der Hingabe, Akzeptanz, Widerstandslosigkeit – nicht mehr kämpfen, sondern alles, was kommt, annehmen und für uns selbst nutzen. Die Kraft, die Energie, die Umstände mit Anmut handhaben. Dies gilt nicht nur für die Kampfkünste, sondern auch im Alltag.

 

Seien wir ehrlich, das Leben ist also immer auch mit Stress und Unbequemlichkeiten verbunden?

 

In Geborgenheit und Bequemlichkeit besteht weder Anreiz noch Veranlassung zur Veränderung. Wenn uns das Leben aber so richtig durchschüttelt und wir große Verluste zu beklagen haben, bilden wir Vertrauen und Standhaftigkeit. Das ganze Leben kann sich verändern, wenn wir in eine Sackgasse geraten, denn dann sind wir gezwungen, tiefer gehende Fragen aufzuwerfen und nach höheren Wahrheiten zu suchen.

 

… und derjenige, der diese Wahrheiten gefunden hat, der ist dann erleuchtet? Was macht er dann?

 

Auch nach der Erleuchtung müssen wir noch den Müll rausbringen und die Wäsche waschen. In den Momenten der Erleuchtung verschwinden unsere Probleme also nicht. Aber unser Verhältnis zu ihnen ändert sich; dann überschatten sie nicht mehr das ganze Leben, sondern werden zu völlig normalen Herausforderungen. Wie ein Baum, der auf dem Weg liegt. Die Parade der Gefühle, Gedanken und Beziehungen geht weiter! Allerdings mit einer anderen Sicht auf die Welt, und das ist der Unterschied.